Interview mit einem Schüler

Ein sechzehnjähriger Schüler aus M-V, dessen Mutter an einer psychischen Erkrankung leidet, hat sich bereiterklärt, seine Erfahrungen zu veröffentlichen. Ganz herzlichen Dank für Deine Zeit, Ehrlichkeit und diese besonderen Stunden!
 
Magst Du uns ein wenig über einen typischen Schulalltag bei Dir berichten? (Freund*innen, Schule, Freizeit)

Geht klar. Ich gehe in die 9. Klasse auf ein Gymnasium. Mein Schulweg ist ziemlich weit, ich muss immer ganz schön hasseln, um alles zu schaffen. Also pünktlich ist nicht so mein Ding, aber das passt schon. Meist weckt mich mein Handywecker oder auch mal meine Mum. Ich wohn´ allein mit meiner Mum. Mein Erzeuger wohnt auch in M-V, aber über den will ich nicht reden. Da gibt’s nur beef. Dann Schulbus und Bahn, noch `ne Fluppe mit den Kumpis und dann kommt das ewige Sitzen in der Schule. Aber mit den Pausen und so, oder auch mal `nem Energy geht das klar. Meist bin ich so 16:30 Uhr zu Hause und dann erst mal chillen oder Powernap. In der Woche hab` ich noch Schlagzeugunterricht am Abend und dann halt Hausaufgaben und so. Das wird auch echt immer mehr. Seit Corona vorbei ist, machen die Lehrer mega Stress und gefühlt drohen die einem eh, dass es ab der 10. Klasse richtig abgehen wird, wegen Abi und so.   

Was weißt Du über die Erkrankung Deiner Mutter und wer hat Dir davon erzählt?

Meine Mum hat Depressionen, also so echte. Als ich klein war, hatte sie auch schon mal Burnout und war auf so `ner Kur, aber jetzt ist es das nicht mehr. Sie nimmt auch Tabletten jetzt gegen die Krankheit und geht zum Psychodoc. Meine Oma hat mir was erzählt, aber am besten hat es mir die Freundin von meiner Mum erklärt. Die hat das auch von der Depression gesagt und da war ich krass drauf und hatte auch mega Wut und so. Und mittlerweile erzählt auch meine Mum selbst viel davon. Aber das nervt auch irgendwie, weil das immer mega anstrengend für mich ist. Und dann tut mir das auch wieder leid, wenn sie so viel arbeiten muss und das ja sowieso viel zu viel ist.    

Mit wem kannst Du darüber sprechen?

Seitdem wir diesen Projekttag (Schulprojekt „Verrückt? Na und!“, Anmerkung von der Redaktion) hatten, erzähl´ ich lieber mit den beiden, die das auch kennen mit ihrer Mum und seinem Dad. Aus meiner Klasse. Vorher halt nur zu Hause, aber mit denen aus meiner Klasse ist das irgendwie besser, da sagt man auch, mir geht das alles mega auf den Zeiger. Dann rauchen wir eine zusammen und so geht´s halt. Zu Hause bleibt immer so´n Kloß im Hals, weil Du beim Sprechen schon merkst oder weißt, dass ja eh nix besser wird. Außer wenn Lohn da ist, die Tage danach sind immer sauber.      

Wer weiß in der Schule von der Erkrankung und seit wann?

Na, eigentlich seitdem Du mit den Leuten von Deinem Projekt bei uns warst. Da hab´ ich ja auch erstmal gehört, wer noch solchen Stress hat zu Hause. Aber am coolsten war, dass meine Lehrerin das auch erzählt hat von sich. Mit ihrer krassen Angst und so und dass sie jetzt besser weiß, dass es für ihren Sohn auch anstrengend mit ihr ist. Ja also seit dem Tag. 

Weißt Du noch, wessen Idee der Projekttag zum Thema „Verrückt? Na und!“ war?

Diese Frau an der Schule, die auch so was ist, wie Du. Die hat das klar gemacht und die 10. Klassen hatten das auch und war gut.  Und fand ich dann ja auch. Deswegen ist ja nix besser, aber meine Jungs wissen jetzt halt Bescheid und es ist ja eben bei so vielen. Also es ist jetzt leichter, weil ich das eben in der Schule besser alles sagen kann als zu Hause. Deswegen hab´ ich zwar nicht weniger Schulstress, aber so komisch das klingt, ich komm dann auch mal raus von meiner Mum. 

Wie hast Du Dich gefühlt, als die anderen in der Klasse davon erfahren haben?

Nee, das ging echt klar. Und das ja auch welche von uns selbst so Depressionen, Angst und Magersucht haben. Also die haben ja jetzt schon sowas, wie meine Mum und das will man ja nicht nur, weil das irgendwie was Besonderes ist. Das sind ja krasse Krankheiten.

Hat sich dadurch, dass die Lehrerin von der Erkrankung weiß, etwas verändert?

Schon. Auch wenn ich zu spät komme oder nicht so der beste Schüler bin, dann fragt sie auch mal so nach mir oder was meine Musik macht. Weil ihr Sohn auch Hip-Hop hört. Und so wegen der Texte, das versteht sie echt immer falsch. Also halt so andere Gespräche ohne Nerv, weißt Du?  

Hast Du dadurch Vorteile oder Nachteile, dass die Lehrerin es weiß?

Nö, da gibt nix. So von wegen gönn Dir mal mehr Pause oder so. Da sind die halt alle gleich, wegen dem Schulstoff und Abi und so. Aber sie weiß jetzt, dass ich nicht nur aus Spaß wütend bin so wegen der Pubertät und so. Ich werde nicht mehr so angemacht, dass ich dann auch so gekränkt bin. Das ist jetzt aber echt viel besser und ich find´ sie auch richtig gut, auch wenn ich kein Mathe-Ass mehr werde. Ohne die Schule und so ist die eigentlich voll in Ordnung. Jetzt ist das so richtiger Respekt.  

Wurde das Thema im Unterricht behandelt?

Null. Dabei macht das keinen Sinn. Weil an dem Tag ja alle gesagt haben, dass schon Schule, Lehrer und Hausaufgaben ausreichen, um krank zu werden. Denn von wegen dem Risiko, dass weil unsere Eltern krank sind, wir von dem Stress mit den Sorgen und Streitereien und auch dem Geheimnis später krank werden können. Denn so über Sucht, Medien und Mobbing haben wir in Philo und Bio schon mal was gehabt. Aber immer nur mit auswendig lernen, aber nicht, wie psychische Erkrankungen sind oder wie es den Leuten so geht oder wie man das besser sehen könnte. Und was es für verschiedene Krankenhäuser gibt und was die so können.

Kannst Du Dich eigentlich in der Schule gut konzentrieren? Machst Du Dir Sorgen um Deine Schulleistungen?

Mal so, mal so. Was ich richtig spannend finde, so z. B. in Geschichte, da komme ich immer mit. Auch wenn das die Schulstunden am Nachmittag sind. Aber so insgesamt ist es immer schlechter geworden. Ehrlich – ohne meinen Tabak und den Energy geht Schule nicht mehr so richtig oder würde auch gar keinen Spaß machen. Sport und Musik ist viel zu wenig, da läuft es immer. Ich bin schon angespannt und schnell auf 180. Ich würde schon gerne mein Abi machen. Damit es später nicht so knapp in der Kasse ist wie bei meiner Mum. 

Denkst Du manchmal an die Erkrankung deiner Mutter, wenn Du in der Schule bist?

Klar. Manchmal bin ja genau deswegen schon morgens auf dem Weg zur Schule wütend. Wenn zum Beispiel Milch mal wieder fehlt oder die Wäsche seit Tagen nass in der Maschine bleibt. Ich schaff ja auch nicht immer alles, was ich mir vornehme. Und da denke ich auch, dass sie einen Freund braucht, der mal hilft und Kraft hat. Und wenn ich dann nicht mehr wütend bin, dann kommen die Sorgen. Das merkt ja meine Mum auch, dass sie das alles nicht gebacken kriegt. Und dann wird sie traurig, obwohl sie ja durch die Krankheit gar nicht so viel schafft. Und wenn wir Geld für die Schule brauchen, geht es mir auch schlecht. Aber am meisten denke ich an sie, wenn sie so leer schaut. Dann habe ich echt voll Angst, dass sie was Schlimmes macht mit Tabletten und so.   

Was denkst Du dann?

Dass sie einer ganz schnell gesund machen soll und dass sie nicht so viel arbeiten dürfte. Und dass so Leute mit psychischen Krankheiten viel mehr Urlaub haben sollten und trotzdem gutes Geld verdienen sollen. Dann könnte meine Mum auch mehr Zeit haben für Bücher und Haustiere. Das würde gut für sie sein. Aber am meisten wünsche ich mir dann, dass wir nicht alleine sind, zu Hause. Also so ein big Haus, wie das andere auch haben, wo alle zusammen wohnen mit Oma und Onkel und so.  

Gibt es noch etwas, was Du gerne erzählen würdest?

Dass Du einen hast, der sagt, dass man stolz auf das Kind und die Mutter ist. Und dass der Psychodoc mal zu uns nach Hause kommt, weil ich glaube, meine Mum erzählt nicht, wie schwer es in Wirklichkeit ist. Ach so, und das ja bald Ferien sind, was sowieso das Beste ist. Wir machen Urlaub und ich chill´ richtig mit meinen Freunden. Und dass Chillen und so Psychokrams Unterrichtsfächer sein müssten. Das wäre für alle gut.

Danke für dieses Interview!

Das Interview führte Franziska Berthold.   

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