Interview Prof. Michael Kölch

Prof. Dr. med. habil. Michael Kölch
Direktor der Klinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter der Universitätsmedizin Rostock, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Wie sind Sie mit M-V verbunden und wofür interessieren Sie sich besonders als Kinder- und Jugendpsychiater in Bezug auf unsere Thematik?

Der berufliche Bezug ergibt sich aus meiner Tätigkeit als Klinikdirektor der KJPP in Rostock, meinen ganz frühen Studienjahren an dieser Universität und persönlich mag ich natürlich den maritimen Bezug der Gegend.
Als ich im Mai 2019 hier anfing, hatte ich die Chance meinen Einstand beim Rostocker Psychiatrieforum zum Thema Kinder psychisch kranker Eltern und der damit verbundenen notwendigen entwicklungsbedingten Unterstützung der Kinder mit vielen anderen Fachkolleg*innen der landesweiten Versorgung im Rostocker Rathaus geben zu können. 

Die besondere Versorgungslage in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung für Kinder, Jugendliche und Familien ist für mich auch im bundesweiten Forschungsbezug hochinteressant. Mich beeindruckt das landesweite Engagement für das Thema Kinder in psychisch und/ oder suchtbelasteten Familien, wie auch die Initiative der Landeskoordination. Ich erlebe in M-V im bundesweiten Vergleich eine sehr hohe Akzeptanz der Thematik, viele unterschiedliche Aktivitäten und einen sehr ausgeprägten Vernetzungsgedanken.

Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Versorgung für die Familien bei uns in M-V?

Eine Herausforderung ist sicherlich, dass wir nicht das reichste Bundesland sind. Knappe finanzielle Ressourcen und wirtschaftliche Belastungen in Familien stellen immer eine zusätzliche Barriere bei der Überwindung von Belastungen dar und wirken als Risikofaktor bei psychischen Belastungen.

Weiterhin sind wir ein Flächenland und dies ist strukturell herausfordernd für die Entwicklung neuer moderner Versorgungsformen, wo Kinder und deren Familien nicht über Komm-Strukturen erreicht werden können. Es braucht also ein verändertes Denken und Handeln, um wirksame Bewältigungsstrategien in der Fläche durch aufsuchende Angebote zu ermöglichen.

Die Vernetzung bei der Versorgung vor allem im Kontext sehr unterschiedlich entwickelter Regionen, sowohl in den Städten selbst als auch in den ländlichen Regionen, muss in Bezug auf Segregation, Bildung, Erreichbarkeit und Heterogenität dringend in die Zukunft gedacht und entwickelt werden. 

Welche Bedingungen für ein gutes Aufwachsen wünschen Sie sich für M-V? 

Eine gute Vernetzung und Versorgung, die altersbezogen aufgestellt ist. Bedarfe der jungen Menschen sollten ihrer individuellen Entwicklung und Lebenslinie entsprechend ausgerichtet und somit individuell begleitet werden. Und letztlich braucht es dabei vor allem eine systematische Vernetztheit.

Was stellt aus Ihrer Sicht den wichtigsten Resilienzfaktor in Bezug auf die Kinder und Jugendlichen und ihre Familien dar?

Alles was wir gelernt haben aus den Ergebnissen und Erfahrungen der Anti-Stigma-Kampagne ist hilfreich. Vor allem aber das offene Sprechen über die Erkrankung der Eltern ist elementar für die Entlastung der Kinder. Ein sensibles offenes Sprechen hat dann auch die Qualität, dass sich die Familienmitglieder zutrauen ihr ganz persönliches Familiengeheimnis mitzuteilen. Kinder und Jugendliche wollen sich austauschen, wollen mit anderen darüber sprechen, was es für sie ganz individuell bedeutet, dass ein Familienmitglied psychisch erkrankt ist. Dabei geht es nie um Schuld, aber um das Vertrauen, dass ein Sprechen über psychische Erkrankungen oder Suchterkrankungen eines Elternteils in jedem Entwicklungsabschnitt von Kindern möglich ist. 

Wen benennen aus Ihrer Erfahrung die Kinder und Jugendlichen selbst als hilfreiche Personen?

Vor allem Personen aus dem Lebensraum Schule, wie z. B. Lehrer oder auch Schulsozialarbeiter werden genannt. Hier verbringen die Kinder und Jugendlichen sehr viel Zeit. Häufig sind Freunde der Familie, die die Kinder als verlässlich erlebt haben, alternative und wichtige Bezugspersonen. Aber auch Profis werden von den jungen Menschen benannt, die sich einfühlen können in ihre Lebenssituation und eine Idee haben, wie eine Bewältigung gelingen kann und eben auch genau wissen, wann ein Profi auch mal pausieren muss, weil es eben gerade gut zu Hause läuft. Vor allem wünschen sich die Familien selbst, dass Unterstützungen eher langfristig, vor allem mit Kontinuität der Personen erfolgen, auch wenn der Bedarf dann nur punktuell besteht. Kinder, Jugendliche und ihre Familien haben ein sehr gutes Gespür für echtes und authentisches Engagement. Menschen, die die Familien als Vertrauenspersonen erleben, sind die wichtigste Ressource für die Kinder, vor allem bei Familienkrisen.  

Die Sommerferien stehen vor der Tür. Haben Sie Wünsche und Ideen für Familien und Fachkräfte? Was erleben die Kinder und Jugendlichen in Ihrer Klinik in den Sommerferien?

Jedes Familiensystem hat eine ganz individuelle Vorstellung und eigene Idee von Pausen. Familienzeit bedeutet dabei für jede Familie etwas Unterschiedliches in Bezug auf eine qualitativ gute Familienzeit. Auch unter den Geschwistern wünschen sich vor allem die älteren ganz andere Freiräume für sich alleine außerhalb der Familie. Das Bild vom Familienurlaub ist für jeden von uns unterschiedlich und muss nicht teuer sein. Vor allem empfehle ich den Blick nicht allzu sehr in das kommende neue Schuljahr zu richten, besonders wenn es mit Druck und Stress belegt ist. In Bezug auf die Familien ist es häufig entlastend zu vermitteln, dass in einer Familie nie alles harmonisch ist.

Bei uns in der Klinik stehen sehr viele Strandbesuche und sicherlich auch Ideen wie Ausflüge und Projekte auf dem Ferienprogramm. Rostock und das Umland bieten viele tolle Möglichkeiten, die Ferienwochen auch während eines Klinikaufenthaltes gut gestalten zu können. Und auch viele meiner Kolleg*innen werden Urlaub haben und sich erholen. Ich wünsche uns allen, dass wir die Sommerferien gut als Pause nutzen können.

Das Interview haben wir am 10.05.2021 als Telefoninterview geführt. Vielen Dank! 
 

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